Johannes Müller

Insolvenz-Gefahr: Das Warten auf die angekündigte Pleitewelle geht weiter

von Johannes Müller

Finanzkommunikation und Finanzierung

Stand 23.11.2022

Schon lange befürchten viele Wirtschaftsexperten eine Pleitewelle. Sowohl für Unternehmen als auch für Verbraucher. Aber wann kommt sie? Angesichts der aktuellen Zahlen drängt sich jetzt sogar die Frage auf: Kommt sie überhaupt?

 

Zahlen genießen eine besonders hohe Autorität und Priorität
Der Volksmund behauptet, Zahlen lügen nicht. Gerade in Zeiten von immer neuen Entwicklungen und allgegenwärtigen Fake News genießen Zahlen in der Öffentlichkeit eine besonders hohe Priorität und auch Autorität. Und bislang widersprachen die aktuell vorliegenden Zahlen eben den lauten Warnrufen der ewigen Mahner. So wurden im Vergleich zum August trotz der sich eintrübenden Konjunktur im September noch einmal rund ein Fünftel weniger Regelinsolvenzen beantragt.

Im Juli hatte es laut den endgültigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden (Destatis) insgesamt 1.154 beantragte Insolvenzen gegeben. Das sind 3,8 Prozent weniger Anträge als im Vorjahreszeitraum. Aber auch für den Oktober gibt es neue Zahlen von Destatis. Demnach ist jetzt eine erste Trendwende eingetreten, denn im Oktober ist die Zahl der beantragten Regelinsolvenzen gegenüber dem September um insgesamt 18,4 Prozent gestiegen. Zum Vergleich: Im September sank sie gegenüber dem Vormonat noch um 20,6 Prozent.

Berücksichtigen sollten Sie bei diesen Zahlen, dass in den Statistiken immer nur Fälle erfasst werden, bei denen eine erste Entscheidung des Insolvenzgerichts vorliegt. Daher ist davon auszugehen, dass der tatsächliche Zeitpunkt der jeweiligen Insolvenzanträge meistens bereits zwei bis vier Monate davor erfolgten.

Creditreform: Viele Unternehmen zahlen ihre Rechnungen schon nicht mehr
Wie es jetzt in den nächsten Monaten weitergeht und sich die Zahlen entwickeln, darüber herrscht unter den Wirtschafts- und Marktexperten eigentlich keine große Uneinigkeit. Institutionen wie zum Beispiel die Bundesorganisation der Industrie- und Handelskammern (DIHK) oder das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle rechnen in den kommenden Wochen und Monaten aufgrund der Wirtschaftskrise mit deutlich steigenden Insolvenzen. Das deckt sich mit den Prognosen von anderen Organisationen, Institutionen und Verbänden.

Als besonders starke Insolvenztreiber gelten hierbei die steigenden Preise für Energie und auch Ressourcen sowie die Probleme in den Lieferketten. Laut der Wirtschaftsdatei Creditreform sind die Auswüchse dieser Problematiken bereits jetzt offensichtlich: Immer mehr Unternehmen zahlen ihre Rechnungen verspätet oder auch überhaupt nicht. Für Organisationen wie den Industrieverband BDI ist dies ein weiterer Hinweis darauf, dass eine Lawine von Konkursen auf Deutschland zurollt.

Auch das Amtsgericht München zählt zu denen, die immer wieder vor einer Pleitewelle in Deutschland vehement warnen. In einer entsprechenden Stellungnahme prognostizierte das Amtsgericht stark anwachsende Insolvenzzahlen im Winter. Als Gründe werden neben den bestehenden Lieferengpässen vor allem steigende Energiekosten und Zinsen angegeben. Das stelle die Unternehmen in Deutschland vor massive Herausforderungen.

Nur 7,5 Prozent der Unternehmen sehen sich aktuell in der Existenz bedroht
Negative Prognosen, Warnungen und auch Hinweise auf eine große Pleitewelle gibt es also mehr als genug. Das Problem dabei: Alle Befürchtungen und Ängste werden von den aktuellen Zahlen - trotz gestiegener Insolvenzahlen im Oktober - immer noch nicht in dem prognostizierten Ausmaß bestätigt. Ganz im Gegenteil: Die Unternehmenswelt in Deutschland zeigt sich gegenüber den steigenden Kosten, Lieferschwierigkeiten und einer kräftig abkühlenden Konjunktur (noch) weitaus robuster als von der Mehrzahl der Experten erwartet.

Hinzu kommt: Mit Ausnahme einzelner Branchen, wie zum Beispiel das Hotelgewerbe und der Einzelhandel, sehen sich die meisten Unternehmen selbst nicht akut in ihrer Existenz bedroht. Auf jeden Fall hat das eine Umfrage des ifo-Instituts unter insgesamt 9.000 Firmen ergeben. Lediglich 7,5 Prozent der befragten Unternehmen fürchten demzufolge um das Weiterbestehen ihrer Existenz. Das ist angesichts der aktuellen Lage ein erstaunlich niedriger Wert.

Die Einpreisung an einigen Märkten geht momentan eher von Eventualitäten aus
Nicht zuletzt die vergleichsweise niedrigen Zahlen zur Insolvenz sorgen hier anscheinend für Optimismus bei den Unternehmen in Deutschland. Die Autorität der Zahlen kann in diesem Fall aber trügerisch sein. Darauf deuten nicht nur die Ausfälle durch immer mehr unbezahlte Rechnungen hin, sondern auch die Situation an einzelnen Märkten. Gerade der Hochzins-Markt ist hier in den Fokus gerückt.

Denn die Kursverläufe zeigen klar, dass in diesem Sektor bereits eine Pleitewelle eingepreist ist, obwohl diese Deutschland - im Gegensatz zum Beispiel zu Österreich - noch gar nicht erfasst hat. Die Kurse deuten auf jeden Fall daraufhin, dass 40 Prozent aller Unternehmen, die Hochzins-Anleihen herausgeben, innerhalb der nächsten fünf Jahre pleitegehen. Das entspräche einer Ausfallquote von grob acht Prozent pro Jahr, was eher unrealistisch erscheint, aber dennoch die Basis für die aktuelle Einpreisung darstellt.
 

Näher an der Wahrheit erscheinen hier auf jeden Fall die Prognosen von Fitch, Moody's und anderen Ratingagenturen, die mit Ausfallquoten von rund drei Prozent in den kommenden zwölf bis 15 Monaten rechnen. Hier herrscht also Uneinigkeit: Der Hochzins-Markt rechnet fest mit einer Insolvenzwelle, die Ratingagenturen demgegenüber nicht.

Nicht immer Insolvenz: Viele Firmen entscheiden sich für eine freiwillige Schließung
Allerdings - und das sollte bei der Einschätzung der Zahlen ebenfalls immer berücksichtigt werden - lügen die Zahlen zur Insolvenz zwar nicht direkt, aber sie erzählen dann eben doch nur die halbe Wahrheit. Denn, was in der Insolvenz-Statistik nicht einfließt, sind die Unternehmen, die bereits vor einer möglichen Insolvenz freiwillig die Türen schließen. Dies geschieht meistens dann, wenn ein Unternehmen keine wirkliche Chance mehr auf eine erfolgreiche Zukunft offenbart und ein kostspieliges Insolvenzverfahren vermeiden möchte. Stattdessen werden die Geschäfte dann bereits vorher abgewickelt und die Gläubiger ausgezahlt. Die Anzahl von freiwilligen Schließungen ist schon in normalen Zeiten weitaus höher als die Zahl der Insolvenzen. In Krisenzeiten steigt der Anteil dann noch einmal deutlich. So gesehen, bildet eine Insolvenz-Statistik immer nur die Spitze des Eisbergs ab.

Darum kann die angekündigte Pleitewelle auch komplett ausbleiben
Es fällt aber auf, dass die Grundstimmung bei Marktexperten, Markt-Insidern oder auch Analysten weiterhin eher negativ geprägt bleibt. Auch die aktuelleren Studien und Prognosen schätzen die Gefahr einer Pleitewelle trotz der vor Oktober fortwährend vergleichsweise niedrigen Insolvenzzahlen als hoch bis sehr hoch ein. Das belegen zum Beispiel die erst kürzlich vorgenommene Lage-Beurteilungen von Creditreform und Allianz Trade. Allerdings ist es auch möglich, dass sie Pleitewelle schon an Kraft verliert, bevor sie überhaupt in Deutschland angekommen ist. Staatliche Maßnahmen und politische Entscheidungen können hier das Zünglein an der Waage spielen.

Ein erneutes Aussetzen der Insolvenzantragspflicht bietet neue Chancen
Wird zum Beispiel die Insolvenzantragspflicht erneut von der Ampelkoalition ausgesetzt, wird dies die Insolvenzen weiterhin niedrig halten. Die Aussetzung wird aktuell aber erst diskutiert und ist noch nicht verabschiedet. Die Chancen stehen aber gut, dass es zu einer weiteren Aussetzung der Insolvenzantragspflicht tatsächlich kommt. Ein solcher Aufschub würde zudem auch noch in anderer Hinsicht für Entspannung sorgen. Denn er verschafft den Unternehmen mehr Zeit, die eigenen Kassen wieder zu füllen. Das ist gerade angesichts der Tatsache, dass die Rohstoffpreise möglicherweise wieder fallen, ein wichtiger Erfolgsfaktor. Denn die Auftragsbücher sind bei den meisten Unternehmen gut gefüllt. Es liegt mehr an nicht funktionierenden Lieferketten und den steigenden Energiekosten, das finanzielle Notsituationen eintreten. Durch ein weiteres Zeitpolster könnten sich etliche Unternehmen mit aktueller Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung wieder besser aufstellen.

Negativer Aspekt: Zombieunternehmen bleiben am Markt präsent
Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Betrachtet man die Kehrseite, werden auch die Nachteile einer Aussetzung der Insolvenzantragspflicht offensichtlich. Denn durch den temporären Zeitaufschub werden auch die wirtschaftlich eigentlich gar nicht mehr tragfähigen Firmen weiterhin am Markt gehalten. Diese Kandidaten, die sich durch den Marktwert im Verhältnis zum Buchwert definieren, werden als Zombieunternehmen bezeichnet. In diesem Fall verzögert ein temporärer Aufschub die ansonsten auftretende Insolvenz-Welle und damit auch Rückzahlungen.

Das hat für die gesamte Wirtschaft fatale Folgen, da die Zombies dadurch den gesunden Unternehmen ihre Ressourcen entziehen. So fehlt es dann auf einmal in einer ganzen Branche an Lieferanten und Kunden. Im schlimmsten Fall führt das dazu, dass ganze Industrien wegbrechen. Zudem weisen Zombieunternehmen ein hohes Rückfallrisiko auf. Das hat oftmals zur Folge, dass die Zombies Produktivität zurückhalten. In der Praxis sieht das dann so aus, dass sie Investitionen, Kredite und Fachkräfte binden, die in anderen Firmen weitaus produktiver und damit schlichtweg besser eingesetzt werden könnten.

Aber: Stellt die neue Insolvenzantragsregel wirklich die bessere Lösung dar?
Die Bundesregierung diskutiert im Hinblick auf die Insolvenz-Gefahr auch an anderer Stelle über neue Regelungen. Um Unternehmen in der Energiekrise helfend unter die Arme zu greifen, will die Bundesregierung die Regeln des Insolvenzrechts teilweise lockern. Diese neuen Regelungen betreffen alle Insolvenzanträge, die aufgrund einer Überschuldung gestellt werden. Zum einen wurde hier der Prognosezeitraum der Überschuldungsprüfung auf vier Monate gesenkt und zum anderen sind ab jetzt Firmen von der Antragspflicht entbunden, sofern der Fortbestand des Unternehmens über die nächsten vier Monate hinweg aus hinreichenden Gründen wahrscheinlich erscheint. Bis Ende 2023 soll diese Ausnahmeregelung erst einmal Bestand haben.

Der Anteil der Insolvenzen wegen Zahlungsunfähigkeit liegt bei über 95 Prozent
Ob diese gut gemeinte Anpassung letztendlich aber den gewünschten Erfolg bringt, ist allerdings fraglich. Denn diese Regeländerung bezieht sich ausschließlich auf Unternehmen, die Insolvenz aufgrund einer Überschuldung anmelden müssen. In der Praxis passiert das aber nicht häufig. Laut aktuellen Statistiken kommt es viel öfter durch Zahlungsunfähigkeit zu einer Insolvenz. Bestätigt wird dies durch die Daten des Statistischen Bundesamts Baden-Württemberg. Demnach meldeten in der jüngeren Vergangenheit von 1.800 Unternehmen insgesamt 97 Prozent Insolvenz aufgrund von Zahlungsunfähigkeit an. Eine Änderung des Insolvenzrechts in dieser Form kann daher kaum eine wirklich spürbare Wirkung entfachen.

Krisenmanagement unterstützt durch die Johannes Müller Wirtschaftsberatung
Krisenmanagement bedeutet bei der Johannes Müller Wirtschaftsberatung in erster Linie Krisenvermeidung und frühzeitige Krisenprävention. Ist ein Unternehmen jedoch bereits in ernsthafter Gefahr, die Erfolgs- oder Liquiditätskrise ist eingetreten und die Insolvenz droht, dann ist schnelles Handeln gefragt. Wir bringen gemeinsam mit unseren Kooperationspartnern eine jahrelange fundierte Erfahrung in der Unternehmenskrise mit. Nutzen Sie die Möglichkeit zu einem unverbindlichen Gespräch.

 

 

 

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